von Volker Kielstein, 22. April 2017

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde von Haus Schulenburg,

es sind heute doch nicht so viele Menschen zu unserer Ausstellungseröffnung gekommen. Das ist aber nicht schlimm, die großen Ereignisse sind immer erst im Nachhinein groß. Die Oktoberrevolution 1917 startete mit ein paar Rotgardisten, die über eine Nebentreppe in das Winterpalais in St. Petersburg eindrangen und im Erdgeschoss die wenigen Bewacher der provisorischen Regierung überrumpelten. Der berühmte Eisenstein hat dann in seinem Film eine Masse von tausenden Menschen gezeigt, die das Tor zum Winterpalais eingedrückt haben. Beim berühmten Sturm auf die Bastille in Paris wurden gerade mal 7 Menschen frei gelassen, 4 Urkundenfälscher, 2 „Geisteskranke“ und ein sexuell straffälliger Graf, so ist das.

Die heutige Ausstellung hat eine lange Vorgeschichte.

1960, 18 jährig, begann ich mein Medizinstudium in Magdeburg. Über den Freund der folgenden Jahre lernte ich die Mutter eines gemeinsamen Freundes kennen: die Baronin Hanna von Rühling, ursprünglich Tochter eines gut situierten Dresdener Schlossermeisters. Ende der 1920iger und in den 1930iger Jahren brachten sie ihr Kunststudium, Attraktivität und Lebensart mit vielen in Verbindung, die im damaligen künstlerischen Dresden etwas zu bedeuten hatten, mit Otto Dix, Erich Kästner, Hans Theo Richter, Wilhelm und Max Lachnit, mit dem Puppen- Schröder aus Radebeul.

Sie kannte Peter von Zahn, den späteren ersten Fernseh- Amerikakorrespondenten und stand mit ihm bis zu seinem Tod in Verbindung.

Ihr Bruder, der Schriftsteller Herbert Schneider, schrieb vom noch nicht „ins Reich geholten Österreich“ aus das „Erbauungsbuch für den deutschen Spießer“ und schickte es an alle deutschen Gauleiter. Die nahmen ihm das übel.  Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde er verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht.

Die Baronin, damals noch Hanna Schneider, zog sich einen knappen Rock an, rückte dem Gauleiter Mutschmann ins Büro und brachte es dahin, daß ihr Bruder wieder entlassen wurde.

Ihr späterer Mann war der Baron von Rühling, neben Baron war er Organist- man hatte Landbesitz in Böhmen und  2 Wohnungen, eine in Dresden und eine in Berlin. Er fiel im 2. Weltkrieg. Die Baronin verschlug es mit Ihrem Sohn Nikolaus verarmt nach Halberstadt. Dort verdiente sie im Pionierhaus als Kunsterzieherin ihren Lebensunterhalt.

Uns jungen Burschen brachte sie eine Welt und vor allem eine freiheitliche geistige Haltung näher, die in der kleinbürgerlichen Spießigkeit von Großdeutschland und im Staatssozialismus der DDR verloren gegangen war- kulturelle Kontinuität, die die Verwerfungen der Geschichte überbrückt- das ist ein Thema, welches uns bei dem nächsten Ausstellungstitel 2018 „Fortsetzung des Bauhauses in der DDR“ und auch schon in der heutigen Ausstellung begegnet.

Zurück zu meiner Story:

1962 war ich mit meinem Freund Joachim Weber, einem begnadeten Klavierspieler und Textschreiber, erstmals mehrere Tage in Dresden- per Anhalter versteht sich, bei einem alten Bekannten der Baronin, bei dem Möbeldesigner, Maler, Grafiker und Bildhauer Max Lachnit. Er war einer der großen, weder von der NS- noch DDR- Ideologie infizierten Künstler. Nach dem Tode seines Bruders, dem eigentlich bekannteren Maler, Prof. Wilhelm Lachnit, bezog er dessen Atelier im Hochhaus in der Borsbergstraße.

Im damals ziemlich runtergekommenen Künstlerhaus in Dresden Loschwitz  war seine Druckerei und sein Lager für unzählige Plastiken. Dort schliefen wir in inzwischen verstockter Bettwäsche, wir fanden gemahlenen Kaffee, ältere Haferflocken,  überlagertes Milchpulver und vertrocknete Rosinen, dazu mitgebrachtes Schwarzbrot- hatten also genug zu essen.

Dann durchforsteten wir einen riesigen Schrank mit Druckgraphik und dachten übrigens nicht einmal daran, davon etwas „besitzen zu wollen“. Mittendrin stand der farbige Gipsentwurf der gegenständlich- abstrakten Brunnenplastik „Der Flugwille des Menschen“. Das Sandsteinoriginal verfiel nach der Wende und ist inzwischen aufwändig restauriert.

„Der traurige Frühling“, ein Bild seines Bruders im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ der 1920er Jahre, es hängt heute in der Nationalgalerie in Berlin, hätte ich im Chaos des Künstlerhauses fast zertreten.

Am nächsten Tag dann Gemäldegalerie, Galerie neuer Meister, am Abend zeigte uns Max Lachnit das Gesamtwerk seines Bruders Wilhelm- zwischen Neuer Sachlichkeit und Abstraktion. Am übernächsten Tag sein eigenes Werk: Kaltnadelradierungen, Punzenstiche,  Farbmonotypien, Entwürfe für Plastiken. Er hatte einen Hang zu monumentalen abstrakten Plastiken, geeignet für große städtische Plätze und öffentliche Brunnenanlagen. Viel hat er damals für den Wiederaufbau des Komplexes Prager Straße in Dresden entworfen. Zu seinem Ärger wurden die Entwürfe von den Kulturverantwortlichen oft auf ein paar nichtssagende dekorative Formen reduziert oder abgelehnt. So führten sie ein Ersatzdasein als 30- 40 cm große Modelle auf den Bücherborden der Atelierwohnung. Kater Willy hatte so viel Kunstverstand, daß er zwischen den Modellen gehen konnte ohne eines runter zu stoßen.

Max zeigte uns seine Entwürfe für das Mahnmal in Auschwitz, Mitbewerber war immerhin der berühmte englische Bildhauer Henry Moore. Das Buchenwalddenkmal von Fritz Cremer konnte er nicht akzeptieren: „Du kannst das Grauen nicht gegenständlich darstellen, das ist Kaspertheater und beleidigt die Opfer. Du mußt eine abstrakte symbolische Form finden für das Unsägliche“, so ähnlich.

Max ließ sich formal inspirieren von den Felsformationen des Elbsandsteingebirges, besonders von den Eisenerzarabesken im Stein, fand ungewöhnliche Beschreibungen für die Struktur der Felsen: „Der hier sieht aus wie 150 000 Bemmen“.

Unvergessen ist mir der Besuch der Kirche in Dresden- Strehlen vor Beginn einer Wanderung durch die Sächsische Schweiz. Max hatte den Altarraum mit großen Relieffiguren ausgestattet. Wir standen am Eingang des Kirchenschiffes, Max mit etwas gebeugtem Kopf, die Baskenmütze in der Hand, ein prüfender Blick auf sein Werk. Für alle die ihn nicht kannten, blieb er unsichtbar. Vorbei zog das Gottesdienstpublikum im Sonntagsstaat und der versteckt arroganten Haltung der Rechtgläubigen, was für ein Kontrast!

Bestimmte Künstlerkollegen, die sich dem Staat anbiederten, hatten bei Lachnits einen zweifelhaften Ruf, z.B. Lea Grundig, den Hans Grundig konnte man noch gelten lassen. Dem Hermann Naumann, der immerhin mehrere wertvolle Bücher mit Originalgrafik herausgebracht hat, warf man billige und nachgeahmte Effekte vor: „Wenn der ein Mosaik macht- gemeint war ein großes Treppenhausmosaik- geht er danach noch mit dem Pinsel über die Steine“.

Das alles war um 1963.

20 Jahre später hatten wir, d.h. meine Frau, unser Sohn und ich Urlaub am Darßer Weststrand. Dort trafen wir beim Bau eines vielleicht 3 Meter hohen,  vom Wind bewegten  Mobiles aus Strandgut den Dresdner Maler und Grafiker Klaus Dennhardt. Dennhardt lieferte für das Mobile den Kopf, bestehend aus einem bemalten kissenähnlichen Sack. Er stellte gerade in der Bunten Stube in Ahrenshoop aus. Wir verabredeten schließlich die Herausgabe einer Dresdener Grafikmappe im Magdeburger Grafikkreis.

20 Jahre nach dem ersten Lachnit- Besuch nun wieder Besuch im Künstlerhaus in Dresden Loschwitz. Dennhardt war gerade dabei, die Druckwerkstatt des inzwischen verstorbenen Max Lachnit zu übernehmen. Er begeisterte sich damals für den Amerikaner Robert Rauschenberg und setzte sich mit Hilfe des Dix- Druckers Erhardt mit der Drucktechnik Rauschenbergs auseinander. Später gestaltete er eine Porzellanwand mit geometrischen Motiven im Foyer des Hotels Belvedere in Dresden, ging ein paar Jahre vor der Wende in den Westen, kam dann nach vielen Jahren wieder nach Dresden. Ihm verdankt die heutige Ausstellung 2 Grafiken und 3 abstrakte Stahlplastiken.

Im Künstlerhaus lernten meine Frau und ich noch den Urvater der DDR- Konstruktivisten Hermann Glöckner kennen. Er experimentierte zu dieser Zeit mit Schablonendrucken, mit Eierverpackungen und mit den eleganten Formen von alten hölzernen Schuhspannern. Eine Treppe höher im Künstlerhaus trafen wir Günther Hornig, seine Radierungen hatten damals so etwas von Picasso an sich, daneben konstruktivistische Bildmontagen und Plastiken. Sein Nachlass wird heute in der Waldenburg Galerie Berlin,  Schlüterstraße- Ecke Kudamm ausgestellt.

Die Dresdener Grafikmappe kam in Magdeburg dann tatsächlich heraus: Dennhardt, Pukall, Bonk, Gebhardt u. a.. Dabei sollte auch Ralf Winkler sein, doch seine Zeichnung eines weiblichen Aktes am Strand fand ich so miserabel, daß ich sie nicht dabei haben wollte. Ralf Winkler wurde damals von den Dresdener Künstlern etwas belächelt, weil er laufend davon sprach, wie er in den Kunsthandel von New York kommt. Später ging er in den Westen, und stellte als  A.R. Penck auf der Dokumenta und der Biennale in Venedig seine riesigen Bilder mit Strichmännchen aus. Er hat inzwischen Kultstatus und ist sehr teuer. In meine Grafikmappe würde ich ihn auch heute nicht nehmen.

Wofür stehen Hanna von Rühling, Max Lachnit, der großartige Josef Hegenbarth, Hermann Glöckner, Klaus Dennhardt, Günther Hornig oder der von mir bisher nicht erwähnte Jürgen Schieferdecker aus Dresden; ebenso die großartigen Künstler aus Leipzig, Halle, Berlin, Rostock oder Thüringen. Auf alle Fälle nicht für offizielle Staatskunst, auch nicht für kompromißbereiten Opportunismus, noch weniger für belanglose Spielereien oder das weichgespülte „Wahre, Gute und Schöne“.

Sie stehen für Experimentierfreude, Selbstbehauptung und persönliche Integrität. Auf alle Fälle gehören Sie nicht an die Schandwände in Weimar, die  nach der Wende der „offiziellen“ DDR- Kunst zugedacht waren:

Für die „offiziellen“ interessierten  wir uns vor der Wende auch nicht. Unsere Augen haben immer die anderen gesucht und gefunden: in den großen Ausstellungen und in den angesagten Galerien.

Leipzig: Engewald, Wort und Werk, Galerie am Sachsenplatz
Berlin: Galerie Arkade, Galerie am Frankfurter Tor
Chemnitz: Galerie Oben
Magdeburg: Galerie Himmelreich, Burg Galerie (Ableger der Hochschule Burg Giebichenstein, Halle)
Gera: Galerie am Markt

Dazu kamen die Mappenwerke und graphische Einzelblätter: Kabinettpresse von Lothar Lang Berlin, Reclam Verlag Leipzig, Leipziger Grafikmappen, Karl Quarch Verlag Leipzig, Magdeburger Grafikkreis, Pirckheimer Gesellschaft für Bücherfreunde u.a.

Was man da haben konnte, sehen Sie in der Ausstellung. Es ist eine umfassende, aber nicht vollständige und durchaus subjektiv ausgewählte Sammlung. Wenn Sie mehr davon sehen wollen, müssen sie weit fahren. Die große Grafiksammlung von Lothar Lang, Herausgeber der Kabinettpresse Berlin befindet sich inzwischen im Getty- Museum Los Angeles, die Sammlung von Georg Brühl ging schon vor vielen Jahren an die Eremitage in St. Petersburg.

Übrigens: Das Anfang des Jahres eröffnete Privatmuseum Barberini in Potsdam, im Moment ist dort eine bedeutende Impressionistenausstellung, wird im Herbst ebenfalls DDR-Kunst zeigen.

Bereichert wird unsere Ausstellung durch kunsthandwerkliche Leihgaben (Keramik, Glas, freie Gestaltung) der mit dem Henry van de Velde- Museum Haus Schulenburg kooperierenden Waldenburg Galerie Schlüterstraße- Ecke Kudamm Berlin, Chefin Sabine Tauscher. Wieder zu sehen sind Heidrun Feistner Berlin mit zwei Specksteinplastiken- und einer Bronzeplastik, Volkmar Kühn mit 2 Bronzen aus Privatbesitz.

Lassen Sie sich überraschen, von dem was Sie vielleicht lange nicht gesehen oder vergessen haben. Ein sonst gut informierter Besucher der Waldenburg Galerie in Berlin stellte kürzlich fest: „Sowas konnten die in der DDR doch gar nicht“,  und ob die das konnten!

„Um die alte DDR ist es nicht schade, aber schade wäre es um das, was Menschen in dieser Zeit gelebt, erfunden, sich ausgedacht und gestaltet haben“.

Es gibt eine kulturelle Kontinuität über die Brüche der Geschichte hinweg.

Dank an die Sponsoren 

Thüringer Staatskanzlei -  Herr Schubart, Frau Kasper
Sparkassen Kulturstiftung Hessen Thüringen - Dr. Wurzel, Dr.Grisko
Sparkasse Gera- Greiz - Herr Morbach, Herr Heilmann
Volksbank Gera - Herr Hartmann, Herr Ziegenbein 

Die letzte Ausstellung „bau1haus- die Moderne in der Welt“ findet ihre Fortsetzung in der Thüringer Landesvertretung Berlin und geht dann in die Staatsbibliothek Berlin.

Die heutige Grafik- Ausstellung ist Part I des Rahmenthemas „Fortsetzung des Bauhauses in der DDR“. 2018