„100 Jahre Haus Schulenburg – eine Familien-, Unternehmens- und Kulturgeschichte.“

Volker Kielstein , 16.08.2014

Im August 1914 wurde Haus Schulenburg, dass „geistige Werk“ des Belgiers Henry van de Velde, bezugsfertig. Van de Velde war Maler, Kunsttheoretiker, Architekt, man nennt ihn den „Vater des modernen Design“, „Wegbereiter des Bauhauses“; um 1900 wurde sein Name in Europa so oft genannt wie später der von Picasso.

Der Bauherr Paul Schulenburg kaufte sich auf der 3. Internationalen Kunstgewerbeausstellung 1906 in Dresden ein Speisezimmer und vermutlich auch andere von van de Velde entworfene Möbel. Er hatte 1897 zusammen mit Alexander Bessler in Gera die Wollen- und Seidenweberei Schulenburg & Bessler gegründet. Die Firma entwickelte sich schnell zu einem führenden Unternehmen in der Branche mit bis zu 800 Beschäftigten und weltweiten Exporten.

Die Schulenburgs hatten eine bemerkenswerte Geschichte:

Der Großvater von Paul Schulenburg, Albert Schulenburg, wanderte 1862, 60-jährig nach St. Louis/Missouri USA aus. In der Familienchronik wird der Großvater als ein „feingebildeter Mann von scharfem Verstande und strenger Denkungsart“ beschrieben. „Er hatte einen ausgeprägten Stolz auf seine aus eigener Kraft errungenen Erfolge und besaß viel Sinn für Gerechtigkeit. Er schenkte seiner früheren Heimat Lippstadt einen großen wertvollen Wald, damit seine drei gesunden Söhne kein müheloses Dasein hätten. “

„Sein ältester Sohn Richard Schulenburg brach 1879 im Alter von 42 Jahren, trotz der s. Z. direkten glänzenden Verhältnisse seine Beziehungen in Amerika ab und ging nach Deutschland zurück, damit seine fünf Kinder eine deutsche Erziehung genießen und später im Wesentlichen für sich selber sorgen sollten. Richard hat sich dann bis zu seinem Tode an deutschen Universitäten wissenschaftlichen Studien gewidmet.“

Unser Paul Schulenburg kam in Alter von 7 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland, lebte zunächst in Berlin, besuchte von 1885 – 1891 die Friedrich-Werdersche Gewerbeschule (Oberrealschule) in Berlin, von 1891 – 1893 die Städtische Webfachschule in Berlin, es folgten eine Prokuristentätigkeit in der Ostthüringischen Textilindustrie und dann 1897 die Firmengründung gemeinsam mit Alexander Bessler.

Er heiratete am 08. September 1900 Anna Elisabeth Thierbach, geb. 30. Mai 1878. Sie war die Tochter des Rittergutsbesitzers Friedrich Richard Thierbach aus Lobeda bei Jena. Dieser wiederum war adoptiert wurden von Friedrich Wilhelm Thierbach, Rittergutsbesitzer in Lobeda und seiner Ehefrau Henriette Auguste, geb. Bogenhardt. Seine natürlichen Eltern waren Friedrich Wilhelm Theodor Zeuschel, Kantor und Schullehrer in Umpferstedt und dessen Ehefrau Marie Louise, geb. Bogenhardt. Hier wurde offensichtlich das Kind einer armen Schwester von der Familie der reichen Schwester adoptiert.

Der Bruder von Elisabeth Schulenburg, geb. Thierbach wurde der Geheime Sanitätsrat Dr. Thierbach, Hofmedicus der reußischen Fürstenfamilie. Dessen Tochter war die in Gera bis in die 60iger Jahre des vergangen Jahrhunderts lebende legendäre Geigenlehrerin Lotte Thierbach, in ihrer Jugend Mitglied eines Berliner Damenorchesters.

Paul und Elisabeth Schulenburg hatten 5 Kinder:

Wolfgang, geb. 1901, Richard, geb. 1908, Gunhilde, geb. 1910, Adelheid, geb. 1913, Joachim, geb. 1916.

Die beiden ältesten Söhne Wolfgang und Richard übernahmen Anfang der 30iger Jahre nach der frühen Erkrankung ihres Vaters Paul Schulenburg die Firma Schulenburg & Bessler; Gunhilde begann ein Medizinstudium, beendete es aber nicht; Adelheid besuchte eine Haushaltsschule und wurde aufwendig in  „standesgemäßem Lifestyle“ ausgebildet: Reiten, Tennis, Klavierspiel, Englisch und Französisch; Joachim wurde Arzt und blieb im 2. Weltkrieg vermisst.

Wolfgang heiratete „von der Schulbank weg“ die Tochter eines Berliner Bauunternehmers,Erika Krauss. Nach seinem Tod 1967 war sie leitende Unesco-Angestellte und Trägerin des  Bundesverdienstkreuzes. Richard heiratete Rosemarie  Gräfe, Unternehmertochter aus Gera mit verwandtschaftlicher Beziehung zur Maschinenfabrik Rudolf Jahr in Gera, Gunhilde heiratete den Frauenarzt Dr.Staiger ; Adelheid ihren früheren Chemielehrer Dr. Hans Heberlein, später Mitarbeiter von IG Farben in Brasilien. Die Liste ihrer reichen Aussteuer befindet sich im Stadtarchiv. Joachim heiratete die Krankenschwester Angelika Schulenburg.

Der erste Bruch im Familiengefüge ereignete sich 1926. Die Eltern ließen sich scheiden, zu groß waren die Unterschiede in ihren Grundüberzeugungen.

-       Paul Schulenburg mit amerikanischen und Berliner Hintergrund

-       Elisabeth Schulenburg aus thüringisch/ländlichen Verhältnissen (Lobeda, Umpferstedt, Clotra und Zottelstedt)

Die beiden großen Söhne blieben beim Vater in Gera, die Töchter und der jüngste Sohn gingen zusammen mit ihrer Mutter und offensichtlich gut alimentiert von Paul Schulenburg nach Kassel. „Selbstfindung“ sagt man heute dazu, heute wie damals meist mit negativem Ausgang.

 

Die Enteignung der Firma 1947 entzog den beiden älteren Söhnen die Position als Eigentümer und Chef eines großen Unternehmens, den Töchtern ein gewaltiges Erbe. Gunhilde kam mit ihrem Mann, dem Frauenarzt in eigener Praxis wieder auf die Beine. Adelheid wurde in Brasilien von ihrem Mann verlassen und geriet in eine finanzielle Notlage. Joachim blieb in Russland vermisst.

Der Traum vom „mühelosen“ Dasein, dem schon der Vorfahre Albert Schulenburg 1862 misstraute, als er der Stadt Lippstadt „einen großen wertvollen Wald schenkte“ ging nicht auf, sie mussten wieder klein anfangen und schafften den großen Sprung nicht mehr. 

Geblieben ist Haus Schulenburg, das Werk eines genialen Designers, Ausdruck des unternehmerischen Erfolges und der künstlerischen Ambitionen seines Bauherren. Die zahlreichen Enkel von Paul Schulenburg leisteten einen erheblichen Beitrag zur Wiederherstellung des Gebäudes und seiner Atmosphäre: Fotos, Berichte als Zeitzeugen, Hintergrundinformationen, auch historischer Klatsch.

Aus verschiedenen Quellen kam ein Teil der historischen Ausstattung mit Ölgemälden (z.B. Linzen-Gebhardt, Paul Neidhardt), kunsthandwerklichen Accessoires, bibliophilen Büchern, originalen Stoffen und auch Möbeln – Reste des historischen Kunstbesitzes von Paul Schulenburg – zurück. Besonderer Dank dafür gebührt der Schulenburgtochter Adelheid Heberlein aus Rio de Janeiro, den Schulenburgenkeln Rechtsanwalt Hans-Ulrich Staiger aus Ulm, Jutta Stooss aus Amstetten, Cornelia Schulenburg aus Duisburg; den Schulenburg-Schwiegertöchtern Erika Schulenburg aus Köln, Angelika Schulenburg aus Celle, dem Freund der Familie Herrn Prof.Peter Spitz aus Köln und dem Enkel des Chauffeurs Richard Müller, Rolf Müller aus Neustadt/Orla.

Van de Velde hatte Paul Schulenburg nicht nur ein Haus von internationalem Rang gebaut und ausgestattet, sondern auch eine bedeutende Kunstsammlung vermittelt:

14 heute „millionenschwere“ Gemälde, u. a. von

Vincent van Gogh

Claude Monet

Édouard Manet

Camille Pissaro

Maurice Denise

Paul Signac

Alfred Sisley

Theo von Rysselsberghe 

Christian Rohlfs

Eduard Munch

Max Liebermann

Plastiken von

Georg Minne

Constantin Meunier

Guillaume Charlier

Richard Engelmann

 

Gemälde und Grafiken bedeutender Thüringer Künstler z. B.

 

Theodor Hagen

Walter Klemm

Kurt Günther

Paul Neidhardt

Heinrich Linzen

 

Eine Sammlung ostasiatischer Kunst, etwa 60 Keramiken und Metallgegenstände aus der berühmten Bondy-Sammlung, ersteigert bei Cassirer 1922.

All diese Dinge haben den vier nach dem Kriege noch lebenden Schulenburg-Kindern und ihren Familien über manche Schwierigkeiten geholfen, Adelheid verkaufte in Brasilien u.a. eine aquarellierte Rodin-Zeichnung und die Möbel aus dem Musiksalon von van de Velde, Richard verkaufte einen Signac, der viel später im Dezember 2013 in Zürich zum Preis von 3,7 Millionen SFr. unter den Hammer kam, auch van de Velde Geschirr, Silber und Teppiche wurden verkauft. Es ist anzunehmen, dass sich die Hauptstücke der Kunstsammlung nicht mehr im Familienbesitz befinden.

Was erwartet Sie in der Ausstellung „100 Jahre Haus Schulenburg – eine Familien-, Unternehmens- und Kulturgeschichte?“

Zunächst ist die Hülle der Familie, Haus Schulenburg, außen und innen, soweit wiederhergestellt, dass die historische Atmosphäre wieder erlebbar ist. Die im März 2014 eröffnete Ausstellung „Grafik 1914 –18“ in den Südräumen des Obergeschosses wird gemeinsam mit der neuen Ausstellung bis zum Frühjahr 2015 zu sehen sein.

Dokumente zur Familiengeschichte sind im Parterre in der ehemaligen Küche zu sehen: Auszüge aus einem gedruckten Stammbuch, Fotos der Eltern und Kinder. Aus dem Nachlass der Schulenburgtochter Gunhilde Staiger  historische Fotos, Kleidungsstücke und Accessoires von Anfang der 30iger Jahre.

Im Flur zur Küche begegnet uns der gute Geist des Hauses und Chauffeur Paul Schulenburgs, Richard Müller mit seiner Dienstbekleidung aus der Berliner Uniformschneiderei C.Bendict, Silberne Knöpfe mit den Initialen PS – Paul Schulenburg.

In den Nordräumen des Obergeschosses sind Fundstücke zum Unternehmer Paul Schulenburg zu sehen: Ausarbeitungen aus der Zeit in der Berliner Webfachschule, Zeugnisse, eine Urkunde zur Mitgliedschaft in „der gerechten und vollkommenen Johannis-Freimaurer-Loge Archimedes zum Ewigen Bunde im Orient Gera“, die „Satzung der Feldloge >Stern von Brabant< im Orient Brüssel“, geheime Geschäftsbücher, Jubiläumsfotos und eine Auswahl von Briefumschlägen, welche die Geschäftsverbindungen von Shanghai bis Südamerika dokumentiert.

Im kleinen Flur des Obergeschosses hat sich eine Dokumentation eingeschlichen, die meine Frau und ich im Stadtarchiv Gera entdeckt haben und die wir nicht auslassen wollten.

Es handelt sich um weitgehend unbekannte Dokumente zur Zerschlagung mustergültiger jüdischer Textilunternehmen, wie z. B. der Max Biermann AG in Gera oder des Tuchgroßversandes Gebrüder Heine in Leipzig. Die vertrauliche Aufteilung der Betriebe unter „arischen“ Industriellen begann schon 1935, 2-3 Jahre, bevor sie zwangsverkauft, zwischenzeitlich „treuhänderisch“ verwaltet und die Inhaber ins KZ gebracht wurden. Genau so wurden von langer Hand  jüdische Handelsvertreter aus dem internationalen Geschäft eliminiert. „Wir wünschen nicht den Besuch von nicht arischen Herren“.

Die Dokumente berühren immer noch eiskalt. Die Firma Schulenburg & Bessler wurde in diese vertraulichen Verhandlungen zwar einbezogen, beteiligte sich aber nicht an der Vereinnahmung jüdischen Eigentums. Paul Schulenburg selbst hat in einem Brief von April 1933 die negativen Folgen für das Ansehen und den Absatz der deutschen Wirtschaft vorausgesehen, wenn „gewisse Minderheiten“ aus dem Geschäftsleben entfernt werden.

Hervorzuheben ist hier der Prokurist Huhne, der, wie die Dokumente zu erkennen geben, versucht hat, die Ausschaltung von jüdischen  Handelsvertretern hinauszuzögern oder zu hintertreiben. Gleichen Mut hat er nach der Enteignung 1947 gegenüber der Sowjetischen Militärsadministration bewiesen. Grundlegendes konnte er gegenüber den übermächtigen Systemen allerdings nichts erreichen.

Im letzten Raum der Ausstellung und im oberen Treppenhaus sind Überreste der wertvollen Schulenburg´schen Bibliothek, Einbände von Otto Dorfner, dem Bauhausbuchbinder, teilweise nach Entwürfen von Thilo Schoder, der auch den Erweiterungsbau der Schulenburg´schen Fabrik entworfen hat. Es folgen Ölstudien zu einem Auftragswerk des Weimarer Malers Heinrich Linzen für die Schulenburg´sche Fabrik, ein seltener Grafikzyklus, der sich auch im Besitz von Paul Schulenburg befand. Eine Besprechung der Brunnenfigur „Die Kauernde“ von Richard Engelmann durch den Direktor der Berliner Museen Wilhelm von Bode, eine Auflistung des Schulenburg´schen Kunstbesitzes und noch einmal Garderobe der 30iger Jahre aus dem Besitz von Gunhilde Staiger, geb. Schulenburg beenden die Ausstellung, die in Verbindung mit den historischen Haupträumen, sowie der unteren und oberen Diele des Hauses Schulenburg konzipiert wurde.

„100 Jahre Haus Schulenburg“ soll nicht nur Besinnung an wirtschaftlichen Erfolg und europäische Kultur in Gera sein, sondern auch ein Ansporn, diese Traditionen fortzusetzen.