Laudatio Denkmalschutzpreis 2012 

von Dipl. Rest. Holger Reinhardt (Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie)                                           

Objekt: Haus Schulenburg, Straße des Friedens 120
Preiskategorie:
  Einzeldenkmal 

Beschreibung/Geschichte des Objektes 

Offenbar bereits seit 1906 pflegte der erfolgreiche Geraer Textilfabrikant und Kunstsammler Paul Schulenburg Kontakt zu dem im nahen Weimar wirkenden, damals bereits international renommierten Gestalter, Künstler und Architekten Henry van de Velde. Dieser wurde von Schulenburg mit der Projektierung seines Wohnhauses mit zugehöriger Gartenanlage beauftragt.

In den Jahren 1913- 1915 entstand dann in exklusiver Lage am westlichen Stadtrand der damals prosperierenden thüringischen Industriestadt Gera das Gebäudeensemble von „Haus Schulenburg“. Allerdings ist der Schöpfer der Gartenanlage und ihrer 1919 erfolgten Erweiterung leider nicht namentlich belegt. Er dürfte aber dem engsten Umkreis van de Veldes oder aber des belesenen und gebildeten Bauherren angehören. 

Die Gesamtanlage umfasst die Villa, ein stattliches Nebengebäude mit Hausmeisterwohnung, Wirtschaftsräume, Garage und Torhaus, eine aufwendige Einfriedungsmauer mit Toranlage sowie eine reich ausgestattete Gartenanlage mit Pergola, zwei Pavillons, Brunnen und Skulpturen. Heute nicht mehr erhalten ist ein ehemals vorhandenes Gewächshaus für die eigene Seidenraupenzucht.

Unter den Gartenskulpturen gebührt der um 1914 im Stil der „femmes Maillol“ in Kalkstein gefertigten Skulptur des „kauernden Mädchens“ von Richard Engelmann besondere Erwähnung. Sie ist  im inneren Gartenbereich erhalten. Nach Grundstücksteilungen sind die äußeren Bereiche des Gartens teils überbaut, die dort ehemals vorhandenen Strukturen und Ausstattungsgegenstände, darunter bemerkenswerte Skulpturen gingen leider verloren.
Die architektur- und kunstgeschichtliche Bedeutung des Hauses Schulenburg liegt in der konsequent modernen, ja progressiven Auffassung von Formensprache, Baumassenbewältigung und Komposition der Baukörper. In ihrer asymmetrischen Gruppierung bleibt eine klare Hierarchie und Zuordnung gewahrt. Form und Funktion, Raumstruktur und äußere Gestalt, Baukörper und Freiraum sind in der räumlichen Disposition der Baukörper und dem Bezug auf Rechtwinkligkeit im Großen wie im Detail vielfach aufeinander bezogen.

Neben der Außenraumgestaltung und Detaillierung der Baukörper vermittelt die noch heute umfänglich erhaltene wandfeste Innenausstattung des Hauses Schulenburg ein beeindruckendes Bild des von Henry van de Veldes stets angestrebten Gesamtkunstwerkes. Dies spricht in besonderer Weise für die Qualität des umgesetzten Entwurfs, obwohl das für Haus Schulenburg ebenfalls von van de Velde entworfene und nach dessen Plänen gefertigte Mobiliar leider nicht am Ort verblieb. 

Das Haus Schulenburg ist van de Veldes letztes in Deutschland realisiertes Werk. Hier manifestiert sich seine Architektursprache auf der Grundlage der von ihm entwickelten Kunsttheorie und Reformansätze. Es gilt in seiner Gesamtheit aus Wohnhaus mit Nebengebäuden, Ausstattung und Gartenanlage als das reifste Werk des genialen Künstlers an der Schwelle zum „Neuen Bauen“ in Deutschland. Hier ist das von ihm propagierte Ideal des Gesamtkunstwerks als Symbiose von Architektur, Gartengestaltung und Kunstgewerbe als harmonisches Ganzes erlebbar. Befördert und unterstützt wurde dies durch die kongeniale Übereinstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und seinem aufgeschlossenen Bauherren.

Die besondere Bedeutung als Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung liegt neben den bereits geschilderten architektonischen und künstlerischen Qualitäten nicht zuletzt in der Authentizität der weitgehend erhaltenen bauzeitlichen Substanz und ihrer überlieferten Geschlossenheit begründet. 

Besondere Leistungen

Eine umfassende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk Henry van de Veldes setzte international im Wesentlichen erst in den 1960er Jahren ein. Mitte der 1980er Jahre und verstärkt seit 1990 fanden die Forschungen zum Werk van de Veldes ihren Niederschlag u. a. im denkmalpflegerisch-konservatorischen Umgang mit den im Freistaat Thüringen überkommenen Bauten. Dabei handelt es sich um das Kunstschulgebäude, die Kunstgewerbeschule, sein Wohnhaus Hohe Pappeln und die Wohnhäuser Henneberg und Dürckheim, alle in Weimar, den von ihm vollzogenen Umbau des Nietzsche- Archivs, ebenfalls in Weimar sowie das Ernst- Abbè- Denkmal in Jena.

Diverse Vereine, wie z.B. die „Henry van de Velde- Gesellschaft“ in Hagen und Chemnitz sowie die „Europäische Vereinigung der Freunde van de Veldes“ setzen sich zudem für die Erhaltung und Pflege des Euvres dieses Künstlers von europäischem Rang ein und haben es sich zur Aufgabe gemacht, das überkommene Erbe einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Das gleiche Ziel verfolgt die Bauherrschaft mit dem bislang zumeist nur in Fachkreisen bekannten Haus Schulenburg.  

Denkmalfachliche Bewertung

Das Ehepaar Prof. Dr. Rita Kielstein und Dr. Volker Kielstein erwarben im Dezember 1996 das damals bereits seit sechs Jahren leerstehende Gebäude mit umgebendem Gelände einschließlich eines alle Maßstäbe beeinträchtigenden Internatsblockes. Zwischen 1947 und 1990 beherbergte die Villa eine medizinische Fachschule. Die in diesen Jahren zweckbezogen durchgeführten Ein- und Umbauten ließen im Inneren nur wenig von der ehemaligen Qualität erkennen. Ursprünglich beabsichtigte das Arztehepaar die Nutzung der Villa als Zweigstelle einer privaten Tagesklinik. In der Beschäftigung mit dem Bau, seinem Bauherren und Architekten erkannten sie sehr bald dessen herausragende Bedeutung. Das führte letztlich zu dem Entschluss, den Bau mit allen seinen Qualitäten einer öffentlichen, kulturellen Nutzung zuzuführen und mit der Präsentation von Villa und Garten auch das Schaffen van de Veldes in Gera und den Bauherren und Mäzen Paul Schulenburg zu würdigen.

Nach Jahren einer vom Eigentümer mustergültig und umfänglich durchgeführten Restaurierung der äußeren Architektur konnte das Haus im Zuge eines internationalen wissenschaftlichen Van- de- Velde- Kolloquiums 2002 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Für die im Jahr 2007 in Gera stattgefundene Bundesgartenschau wurden die restaurierten Räumlichkeiten im Erd- und Kellergeschoss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 2011 erfolgte die Restaurierung des Obergeschosses und der originalen Möbel des Schlafzimmers, die wieder am ursprünglichen Ort aufgestellt werden konnten. In dieser Zeit gelang auch der Ankauf der originalen Möbel des Musikzimmers. 

In unermüdlicher Kleinarbeit hat das Ehepaar Kielstein Dokumente, ja selbst etliche der in alle Winde zerstreuten Einrichtungsgegenstände der Villa ausfindig gemacht, erschlossen und sogar nach Möglichkeit zurück erworben. Die von beiden gewonnenen Erkenntnisse flossen ebenso wie die bereits vorhandenen Kenntnisse zum Objekt in die umfassende Restaurierung von Haus und Garten unter denkmalpflegerischen Prämissen ein.

Doch nicht allein den Umstand der Rettung der Villa Schulenburg vor dem weiteren Verfall und letztlich drohenden Verlust gilt es zu würdigen. Mittlerweile zählt das Ehepaar Kielstein Dank seiner unermüdlichen Beschäftigung mit dem Objekt selbst zu den international bekannten und anerkannten Fachleuten und Sammlern in Bezug auf Henry van de Velde.

Mit der mustergültigen Instandsetzung von Villa und Garten, deren öffentlicher Nutzung und Erschließung als Gesamtkunstwerk durch Zusammenführung ursprünglicher Ausstattungsgegenstände ist das Ehepaar Kielstein selbst zum Mäzen und somit zu einem würdigen Nachfolger des Bauherren Paul Schulenburg geworden. Dafür gebührt ihnen der Thüringer Denkmalschutzpreis 2012 in der Kategorie „Einzeldenkmal“.