Magdeburgs Suchtexperte ist 70: Rente? Auf keinen Fall!
von Manuela Bock, Volksstimme Magdeburg, 9. Mai 2012
Patienten schwören auf ihn, Kollegen schätzen seine Erfahrung. Er ist Arzt, Ehemann, Familienvater und Opa. Dr. Volker Kielstein, Magdeburgs Suchtexperte, ist 70. Mit ihm ist die Suchttherapie in der Stadt verbunden. Hier hat er sie vor 40 Jahren begründet, seine Tagesklinik in der Planckstraße hat voriges Jahr 20. Jubiläum gefeiert. Die Jahre und Jubiläen runden sich bei Dr. Volker Kielstein. Der Doktor, er wollte eigentlich Maler werden. „Aber das“, so sagt er, „hätte ich meinem Vater, der auch Arzt war, niemals plausibel verkaufen können“.
Also wurde er auch Arzt. Aber ein malender. Immer wenn er Zeit und Muße hat, greift er selbst zum Pinsel. Seine Werke waren vor einigen Jahren in Berliner Ausstellungen zu sehen. Es war immer die abstrakte und surrealistische Malerei, die Kielstein angeregt hat, sich auch selbst künstlerisch zu versuchen. Allerdings: Der feine Pinselstrich ist derzeit eher selten. Die Enkelkinder wollen lieber basteln oder hämmern. Es ist nicht immer leicht, genügend freie Zeit zu finden, sagt Dr. Volker Kielstein.
Er ist ein Wahl-Magdeburger, aber diese Wahl hat er nie bereut. Vier Jahre lang, ab 1960, studierte Kielstein in Magdeburg. Nach sechs Jahren führte ihn die Liebe zurück an die Elbe.
Vor 40 Jahren gründet er in Magdeburg die erste Gruppe Alkoholabhängiger mit nervenärztlicher Betreuung. Viele um ihn herum haben ihn einst argwöhnisch beobachtet, Unterstützung kam vom damaligen Kreisarzt. Es war ein erster Schritt, und er führte in die Entwicklung einer Suchttherapie auf tagesklinischer Basis. 1978 entstand in einem Magdeburger Keller die erste Suchttagesklinik der DDR. Ende der 80er Jahre absolvierten bereits 15 Gruppen ein tagesklinisches Programm. Der Vorteil dieser Therapie gilt damals wie heute: „Der Patient bleibt in seinem Umfeld, bei Familie und Freunden.“ Kielstein machte weiter, erforschte die wohnortnahe Suchtkrankenhilfe und leitete Forschungsgruppen überall in der DDR. Sein „Magdeburger Modell“ fand schnell viele „Nachahmer“. Zwölf weitere Suchttageskliniken entstanden auf der Basis seines Konzeptes, in Berlin, Rostock, Dresden und anderswo. Die Tagesklinik in der Planckstraße hat er nach der politischen Wende, 1991, privatisiert. Drei Ärzte und Mitarbeiter kümmern sich um Patienten mit unterschiedlichsten Suchtformen, Angststörungen und Depressionen.
Als Arzt zu praktizieren, empfindet Dr. Volker Kielstein als „seine wahre Berufung“. Aber die Kunst, sie lässt ihn auch nicht los. Vor 16 Jahren kaufte er das völlig heruntergekommene „Haus Schulenburg“ in Gera und erfüllte sich damit einen Traum. Spaziergänge mit dem Vater führten ihn als Junge an der Villa vorbei. Das Gebäude-Ensemble, es faszinierte ihn schon damals. Inzwischen wurde Haus Schulenburg originalgetreu restauriert. Für diese Rettung und Restauration werden Rita und Volker Kielstein in diesem Jahr den Thüringischen Denkmalschutzpreis erhalten. Aber dennoch: Seine Heimat bleibt Magdeburg, familiär und beruflich. Rente mit 70? „Auf keinen Fall“, meint Kielstein. Mit 80? „Wohl auch nicht.“