Impressionen zur Eröffnung

Diese Ausstellung widme ich meinem Großvater Edwin Krauß und Karl Teubner, der auf der Rückseite einer Fensterleiste im Haus Schulenburg folgenden Satz hinterließ: „Karl Teubner Glaser aus Weimar arbeitete in dem Neubau bis zum Ausbruch des Feldzugs gegen Frankreich, Rußland und England den er als Landwehrmann mitmachte 6. August 1914“  (Volker Kielstein) 

Frieda und Edwin Krauß, Sohn Walter

Vor 100 Jahren begann der 1. Weltkrieg, was nach einigen Monaten vorbei sein sollte, dauerte länger als 4 Jahre. Das Grauen des Krieges war mit vorherigen Ereignissen nicht vergleichbar: modernste Waffentechnik, Flugzeuge, Zeppeline, Panzer und Giftgas, Massenvernichtungswaffen in einem industriell geführten Krieg.

16 Millionen Soldaten aller kriegführenden Parteien verloren ihr Leben, unzählige ihre Gesundheit, „Kollateralschäden“ nicht eingerechnet.

Wie kann man sich einem solchen Ereignis nähern?

Im Wohnzimmer meiner Großeltern mütterlicherseits hing ein großes Foto, welches den Großvater, die Großmutter und den ersten Sohn von später 6 Kindern zeigte, der Großvater in Soldatenuniform, Pickelhaube, mit weißen Rosen im Gewehrlauf und roten Rosen an der linken Brustseite, Großmutter und Sohn festlich angetan, ein letztes Bild vor der Einberufung 1914. Der Großvater überlebte den Krieg nach Verschüttung mit einer chronischen Wunde am Bein. Der Erschießung durch die Franzosen entging er durch eine verzweifelte Flucht. Über die anderen Erlebnisse im Krieg sprach er nicht.

Im Dorf meiner Großeltern im oberen Vogtland stand ein Kriegerdenkmal. Hier konnten wir Kinder Namen von Gefallenen lesen, deren Familien im Dorf bekannt waren. Wir wunderten uns, wie viele das waren.

Bei der Rekonstruktion von Haus Schulenburg löste unser Verwalter, Herr Friedrich, die Leiste über einer Fenstermechanik und fand auf der Rückseite die Nachricht: „Karl Teubner Glaser aus Weimar arbeitete in dem Neubau bis zum Ausbruch des Feldzugs gegen Frankreich, Rußland und England den er als Landwehrmann mitmachte 6. August 1914“. Das klingt wie ein Abschiedsbrief – mit einem Fünkchen Hoffnung, vielleicht.                                                                                                                

Im Alter von 27 Jahren, als junger Assistenzarzt lernte ich in Zwickau den Büchernarren, Schnapsfreund und Leiter der Stadtbibliothek Richard Bussies kennen. Ihm verdanke ich nicht nur aufschlussreiche Gespräche über die Literatur und die Kunst der „klassischen Moderne“ sondern auch fast vollständig die Hefte der Jahrgänge 1914 – 1916 der Zeitschrift „Zeit=Echo“, aus der Vorzugsausgabe von 120 Exemplaren; eine einmalige bibliophile Sammlung von Texten führender Schriftsteller zum 1. Weltkrieg, durchweg ausgestattet mit Originalgrafik von Klee, Feininger, Kokoschka, Kubin, Scharff, Schinnerer und vielen anderen.

Mich wunderte die Akzeptanz des Krieges durch namhafte Dichter:

„Es gibt nur einen wirklich ehrenhaften Platz heute, und es ist der vor dem Feind“, Thomas Mann.

Andere sprechen von der Freiheit, „die ihre Vollendung gewinnt im Opfer“, man sollte „die Bedeutung das Opfer in seinen letzten Tiefen ermessen“, Johannes R. Becher, später Präsident der DDR Kulturbundes dichtete: „zerstampfte Brut von Nattern“. Nur wenige, wie z. B. Franz Werfel, Annette Kolb oder Franz Blei riefen zur Besinnung, Vernunft und Umkehr auf.

Die Grafiker des Zeit=Echo stellten sich schon eher der grausamen Realität: „ Der Tod für die Idee“ von Paul Klee, Alfred Kubin erfasst die Kriegsfurie, Willi Geiger das Leid, aus den Blättern von Oskar Kokoschka, einst Freiwilliger eines K. u. K. Husarenregiments, sprechen Angst und Zweifel.

Die Exemplare meines „Zeit=Echos“ habe ich Anfang der 80iger Jahre eingetauscht, gegen Messingwasserhähne, Druckspüler und Fliesen aus dem Westen. Unsere Wohnung musste renoviert werden. Gold gab ich für Eisen.

Vor ein paar Jahren, Internet macht es möglich, konnte ich zwei komplette erste Jahrgänge des Zeit=Echo wieder erwerben und 3 Hefte des sonst unauffindbaren 3. Jahrganges, herausgegeben von Ludwig Rubiner in Bern.

In der Schweiz fühlte man sich geschützt vor Zensur und Verfolgung wegen Wehrkraftszersetzung. Dichter wie Ludwig Rubiner, Leonhard Frank und Carl Sternheim attackierten die schöngeistig – nationalistische und menschenverachtende Heuchelei angesehener Schriftsteller, und riefen auf zu Pazifismus, ethischer Verantwortung und gesamteuropäischer Gesinnung.

Die bildenden Künstler dieser letzten 3 Hefte des Zeit=Echos kamen aus dem Kreis der dadaistischen Bewegung, die sich in der Schweiz formierte. Dadaistischer Nonsens sozusagen als Reaktion auf den Wahnsinn des Krieges. Politisch stand man links, im Gegensatz zu den Kommunisten in einer nonkonformen  freigeistigen Variante. Von Hans Richter, der sich bis in die Jahre nach dem 2. Weltkrieg eine Namen als bedeutender Experimentalfilmer machte und der mit Max Ernst, Jan Cocteau, Hans Arp und anderen zusammenarbeitete, enthält dieser Jahrgang des Zeit=Echo die Blätter „An den Sieger“ und „Der Heilige Mitmensch“ Widmungsblatt an die russische Freiheit. Verbreitet waren zu jener Zeit nach Illusionen über die „russische Freiheit“.

Im Sommer 1914 ziehen überraschend viele Künstler freiwillig in den Krieg. Kriegseuphorie, nationales Pflichtgefühl und die Hoffnung auf eine Erneuerung des Lebens weichen später zunehmend dem unvorstellbaren Grauen des Krieges. Europäische Freunde werden auf dem Schlachtfeld zu Feinden, die europäische Kulturszene zerbricht unter der Wucht der Ereignisse.

Die Zeitschrift der europäischen künstlerischen Avantgarde „Der Sturm“ begegnete mir erstmals im Alter von 22 Jahren. Einige Studenten der medizinischen Akademie Magdeburg, ein eingeschworener Kreis, deren Interesse und Beschäftigung mit der „Moderne“ auch ein geheimes Erkennungszeichen für Anti-DDR-Gesinnung war, hatten in Schönebeck bei Magdeburg die Expressionistin Katharina Heise aufgespürt; in einem großen Haus vollgestopft mit expressionistischen Plastiken, teilweise riesigen Bildern, Aquarellen und Holzschnitten. Als expressionistische Künstlerin besaß sie sehr viele Exemplare des „Sturm“. Man spürte in ihrem Atelier die Erregung und Energie der expressionistischen Aufbruchjahre nach 1913.

Wie Sie vielleicht wissen, hat unser 2009 verstorbener Freund Georg Brühl das wichtigste Buch über den Verlag, die Kunsthandlung und die Zeitschrift „Der Sturm“ von Herwarth Walden geschrieben. Die Zeitschrift „Der Sturm“ existierte von 1910 – 1932. Sein Herausgeber Herwarth Walden war Komponist, Dichter, Publizist und sammelte in seinem „Sturmkreis“ die gesamte europäische Avantgarde, Expressionisten, Kubisten, Konstruktivisten, Futuristen………..

Im Besitz von Georg Brühl befand sich eine beachtliche Sammlung der mit Originalgrafik der berühmtesten modernen Künstler ausgestattete Zeitschrift (Marc, Macke, Klee, Kokoschka, Chagall).

In seinen letzten Lebensjahren verkaufte Brühl die Sammlung an seinen langjährigen Freund Dr. Jürgen Hubbe. Ich danke Dr. Hubbe, dass er die Exemplare aus der Zeit von 1914 bis 1918 für diese Ausstellung zur Verfügung stellt.

Uns interessiert natürlich, wie sich der Krieg in dieser Zeitschrift widerspiegelt; oberflächlich gesehen gar nicht, wenn man von den Todesnachrichten der gefallenen Künstler wie August Macke, Franz Marc, August Stramm absieht. Walden, der 1918 entschiedener Kommunist wurde und der sein Bekenntnis zur Sowjetunion im sowjetischen Exil mit dem Tod im Gefängnis von Saratow büßte, verstand sich in der Zeit von 1914 – 1918 als unpolitischer Mensch und nur der Kunst verpflichtet.

Im „Sturm“ finden sich im Gegensatz zum Zeit=Echo keine kriegskritischen Beiträge. Politische Indolenz? – vielleicht. Eine andere Erklärung: Nell Walden, die 2. Frau von Herwarth Walden war eine vermögende Schwedin, die nicht nur eine bedeutende Sammlung moderner Gemälde aus dem Sturmkreis erwarb, sondern auch gute Verbindungen - so bei Brühl nachzulesen - zum deutschen Generalstab hatte. Sie verfasste für den Generalstab günstige Berichte, publiziert in Schweden und verschaffte Walden eine Wehrdienstbefreiung wegen seiner Kurzsichtigkeit. So ist das mit den Gesinnungen!

Dennoch, die Grafik des „Sturm“ jener Jahre reflektiert den Krieg in seiner Formsprache: peitschende, zerrissene, beunruhigende, verstörte Formen. Erst in den 20iger Jahren findet die Sturm-Grafik,wie in einem Nebenraum der Ausstellung zu sehen ist,zur formalen Ausgewogenheit zurück.

Immerhin, mit dem „Ersten Deutschen Herbstsalon“ 1913 und während des 1. Weltkrieges  beginnt sich die „Moderne“ zu formieren, es folgt das expressionistische Jahrzehnt, welches ganz Europa erfasst und von allen klingenden Namen von Picasso bis Klee, Boccioni bis Archipenko getragen wird.  

Von 1914 – 1918 ist nicht nur im „Sturm“ ein reichhaltiges originalgrafisches Werk erschienen sondern auch in den Kriegszeitschriften „Der Bildermann“ und „Kriegszeit-Flugblätter“ aus dem Verlag Paul Cassirer Berlin. Die großformatigen Lithographien zeichneten Max Liebermann, August Gaul, Max Beckmann, Wilhelm Trübner und andere. Eine besondere Entdeckung sind die symbolischen Tierdarstellungen von August Gaul, dem wichtigsten deutschen Tierbildhauer des 20. Jahrhunderts, hier sehen wir ihn als Zeichner, der Liebermann glatt in den Schatten stellt.

Die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“, begründet von Albrecht Langen und Thomas Theodor Heine in München und erschienen von 1896 - 1944, übte vor dem 1. Weltkrieg scharfe Gesellschaftskritik. Mit dem Beginn des Krieges schwenkt die Redaktion auf Kriegsunterstützung ein. Die teilweise hervorragenden graphischen Blätter betonen die „Rechtmäßigkeit“ deutscher Kriegsführung, karrikieren den Kriegsgegner, entlarven die Machenschaften der anderen, liefern Durchhalteparolen und kündigen erst sehr spät die Niederlage an. Die neue Ausstellung zeigt eine repräsentative Auswahl von Kriegsnummern des „Simplicissimus“. Sie sind wertvolle Zeitdokumente, die unerwartete Aufschlüsse über weltpolitische Situationen und Stimmungen geben. Im Internet sind alle Ausgaben des Simplicissimus frei zugänglich.

Der Weimarer Maler und Grafiker Heinrich Linzen (* 1886 † 1942) zeichnete nach der Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft Erinnerungen an russische Landschaften. Emotional verarbeitete er den Krieg in graphischen Blättern zu Dantes Inferno. Diese Blätter sind ebenfalls Gegenstand der Ausstellung (Leihgeber

Dr. Dietrich Linzen, Jena). Heinrich Linzen gehörte gemeinsam mit August Schrammen der ersten Studentenvertretung des Bauhauses in Weimar an. Gezeigt werden die Nummern 2 und 3 der in drei Ausgaben erschienenen Studenten-Publikation „Der Austausch“ aus dem Jahr 1919.

Das Ziel der Ausstellung ist es, die Kriegsereignisse von 1914 – 1918 in der Grafik und in schriftstellerischen Äußerungen der Zeit zu spiegeln. Damit können keine letztgültigen historischen Erklärungen oder Deutungen des Kriegsgeschehens abgegeben werden, aber es wird manches deutlich.

Klare Worte fanden damals Autoren der linken expressionistischen Zeitschrift „Die Aktion“. Hier wird dargestellt, dass in der Hochkonjunktur der 90iger Jahre des 19. Jahrhunderts eine Sturm- und Drangperiode der europäischen Staaten einsetzte, in der maßlose Gebietseroberungen durch England, Frankreich, Italien, Russland, USA, Japan und zuletzt Deutschland stattfanden. Sobald die abwechselnden Gegensätze der imperialistischen Staaten eine Zentralisationsachse gefunden hätten, und das sei  mit dem Auftreten des deutschen Imperialismus geschehen, wäre der europäische Weltkrieg nur eine Frage der Zeit gewesen.

Leonhard Frank sieht die Diener des Staates, die Philosophen und Dichter, die Kapitalisten, den vor Bequemlichkeit stinkenden Kanapeebürger bis hin zum „maschinisierten Fabrikarbeiter“ besessen von einem Materialismus, der für eine Leberwurst, 3 Mark mehr Lohn, oder ein Aufrücken in die bürgerliche Lebenshaltung,  Werte wie Mitmenschlichkeit, Vermeidung fremden Leidens und Vermeidung der Ausbeutung anderer Völker, hinten anstellt.

Ludwig Rubiner: „Dieses Bürobeamtentum des Geistes ist jene Denkart, jene menschenferne Lässigkeit, jene ethische Passivität, die nicht nur den Krieg möglich werden hieß, sondern die das Innere des Krieges selbst ist.“

„Interessen“ stehen also über gemeinschaftlichen, mitmenschlichen Werten. Damit befinden wir uns in der Gegenwart.

 Wenn immer mehr künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden, oft zum Schaden der Patienten –  muss man  die wirtschaftlichen „Interessen“ der Operateure verstehen?

Wenn wissenschaftliche Projekte, die dem Wohl der Menschen dienen, verhindert werden, weil sie den Interessen veralteter Institutionen widersprechen, muss man das auch verstehen?

Wenn körperliche Normwerte manipuliert werden, nur damit zweifelhafte Medikamente Milliardengewinne einspielen, muss man die Interessen der Industrie und der arbeitsplatzsichernden Gewerkschaften verstehen?